Tribute Mattie Do
The Ghostwhisperer
Mattie Do ist eine Pionierin des Kinos. Ein bisschen seltsam mutet es schon an, diesen Satz nach mehr als 125 Jahren Filmgeschichte so niederzuschreiben. Aber die in Los Angeles aufgewachsene Filmemacherin, die als Erwachsene nach Laos, in das Land, aus dem ihre Eltern geflohen waren, zurückgekehrt ist, erinnert einen tatsächlich an die Frauen und Männer, die im frühen 20. Jahrhundert die Filmindustrie mitaufgebaut und das neue Medium als eigenständige Kunst etabliert haben. Das beginnt schon damit, dass Do als erste Frau überhaupt einen Film in der Demokratischen Volksrepublik Laos realisiert hat. Zudem war sie es, die das Land, das zuvor praktisch keine Filmindustrie besaß, für internationale Koproduktionen geöffnet hat.
Doch ihre Bemühungen darum, Laos auf der Landkarte des Weltkinos zu platzieren, sind nur die eine Seite ihrer Pionierarbeiten. Mit ihren drei Filmen erweist sie sich auch in künstlerischer Hinsicht als eine Pionierin, die nicht nur das Horrorkino in neue, aufregende Regionen führt. Versuche, ihre Arbeiten einzuordnen, führen schnell zu dem Label ›Geisterfilme‹. Schließlich treten in ihnen immer wieder Geister in Erscheinung. Diese naheliegende Zuschreibung führt allerdings schnell auf falsche Fährten. Auf der einen Seite weckt sie Erinnerungen an US-amerikanische Filme wie »The Sixth Sense« oder die »Paranormal Activity«-Reihe.
Auf der anderen suggeriert sie eine Nähe zu den asiatischen Horror- und Geisterfilmen der vergangenen Jah- re. Doch letztlich verbindet Dos Regiewerke kaum etwas mit der einen oder auch der anderen Richtung des zeitgenössischen Genrekinos. Sie beschreitet tatsächlich einen eigenen Weg, der die Rolle und die Bedeutung von Geistererscheinungen im Kino in ein anderes Licht rückt. Das Grauen, das in den Bildern ihrer Filme mitschwingt, lässt sich kaum mit Genrebegriffen fassen. Es erwächst nicht aus Jump Scares oder anderen manipulativen Techniken. Es ist vielmehr eine existentielle Erfahrung.
In »Chanthaly« ist der Geist eine in weiße Gewänder gehüllte Frau, die die junge Chanthaly regelrecht verfolgt. Diese ›weiße Frau‹ agiert als Verführerin, die Dos Protagonistin manipuliert, bis sie weder ihren Erinnerungen noch ihren Augen trauen kann. In »Dearest Sister« sieht die erblindende Ana von tiefen Wun- den gezeichnete Gestalten, die zunächst kaum zu erkennen sind. Erst mit der Zeit ahnt man, dass dies die gequälten Seelen von Menschen sind, die wenig später sterben werden. Und in »The Long Walk« begegnet der Protagonist, ein alter Mann, immer wieder dem Geist einer jungen Frau, die 50 Jahre zuvor in seinem Beisein gestorben ist. Auf dem langen Spaziergang des Lebens ist sie seine ständige Begleiterin. Eine seltsame, ihn fesselnde und zugleich an ihn gefesselte Gefährtin, die es ihm ermöglicht, zurück in seine Kindheit zu reisen.
Eins haben all diese Emissäre aus dem Reich der Geister allerdings gemeinsam. Sie stehen nicht für das An- dere und sie müssen auch nicht bekämpft oder gar bezwungen werden. Sie sind vielmehr Teil einer Welt, die das Materielle wie das Spirituelle umfasst. In »Chanthaly« und »The Long Walk«, die stark von traditionellen religiösen Traditionen und Vorstellungen geprägt sind, verkehren sich sogar die Machtverhältnisse zwischen den Lebenden und den Toten. Es sind die Menschen, die erst die Geister erschaffen, weil sie den Toten jene Zeremonien verweigern, die ihnen einen Übergang in ein neues Leben ermöglichen. Die Geister entpuppen sich damit als Gefangene derer, die nicht loslassen können oder wie Chanthalys Vater jeden Glauben an das Spirituelle verloren haben.
So transzendiert Mattie Do gemeinsam mit ihrem Partner und Drehbuchautoren Christopher Larsen die gän- gigen Grenzen des Kinos und zugleich auch die Grenzen unseres Denkens. Die Selbstverständlichkeit, mit der Do die junge Frau in »The Long Walk« inszeniert, hat etwas Magisches und zutiefst Anrührendes. Ihr Schmerz und ihr Leiden erfüllen den Film auf eine unaufdringliche Art und eröffnen zugleich noch eine andere Perspek- tive auf die Taten und Überzeugungen des alten Mannes, der sich fast sein ganz Leben lang selbst belogen hat.
Dos ebenso sinnliche und berührende wie philosophisch-tiefgründige Filme sind gegenwärtig in der Welt der großen Filmfestivals nahezu einzigartig. Eine ruhige, fast hypnotische Schönheit geht von ihnen aus. Aber ihre formale Eleganz verdeckt nie ihre analytische Präzision. Kaum ein anderer Film hat die zerstörerischen Aus- wirkungen einer patriarchalen Gesellschaft so eindringlich beschrieben wie »Chanthaly«. Doch das wird einem erst im Nachhinein bewusst, wenn sich einem die Bilder von der in ihrer kleinen Welt gefangenen jungen Frau tief in die Erinnerung und ins Herz eingebrannt haben.