Retrospektive Ovidio G. Assonitis
100% Maverick
»Alles in Allem bin ich mir – voller Wehmut – bewusst, dass meine Beiträge zum Horrorgenre nicht die histo- rische Bedeutung haben wie beispielweise »The Exorcist« oder »Psycho«. Wir sprechen hier nicht über Meis- terwerke, aber meine Filme sind von all meiner Liebe und all meinem Enthusiasmus erfüllt. Und ich glaube, das ist auch zu sehen.« So hat der Produzent, Drehbuchautor und Regisseur Ovidio G. Assonitis selbst einmal seine Arbeiten in einem Interview beschrieben. Ein gewisser Schmerz schwingt in diesen Sätzen mit. Aber der Eindruck von Enttäuschung verblasst sofort wieder. In Erinnerung bleibt nur die absolute Offenheit, mit der der 1943 in Alexandria geborene Filmemacher über sein Schaffen und sein Streben spricht.
Die bedingungslose Aufrichtigkeit seiner eigenen Einschätzung wird dabei nur noch von der radikalen Ehrlichkeit übertroffen, die alle seine Filme prägt.
Ehrlichkeit, das ist im Kino und der Kunst eine nur schwer zu fassende Kategorie und oft auch eine sträflich unterschätzte Qualität. Dabei stand sie bei der Geburt des Kinos aus dem Geiste des Jahrmarkts durchaus Pate. Georges Méliès war eben nicht nur der Erfinder des erzählenden Films. Mit seinen Stop-Motion-Tricks und seinen fantastischen Bildwelten, die sich nicht von der Wirklichkeit und ihren Gesetzen einengen lassen, hat er das Kino gleich zu Beginn in eine Traum-Maschinerie verwandelt. Diese Maschinerie ist relativ bald Teil einer Fabrik geworden, die uns viel zu oft falsche und verlogene Träume einpflanzt. Im Zuge seiner ra- sant fortgeschrittenen Kommerzialisierung hat die Form des Kinos, die einmal ›Kintopp‹ hieß, ihre Unschuld und mit ihr auch viel von ihrer Ehrlichkeit verloren. So ist auch der Glaube an eine Filmkunst verschwunden, die sich allein über die Macht ihrer Bilder und Schnitte definiert, die (Alb)Träume im Dunkel des Kinosaals real werden lässt.
Genau dieser Glaube beflügelt Assonitis‘ Werk. Auf der einen Seite ist er wie sein US-amerikanischer Bruder im Geiste Roger Corman ein genialer Geschäftsmann, der nie vergessen hat, dass Filme ihre Kosten wieder einspielen müssen und möglichst Gewinn abwerfen sollten, damit wieder neue Filme gedreht werden können. Genau nach diesem Muster hat die italienische Filmindustrie der 1960er und 70er Jahre funktioniert.
Eine Industrie, die er als Produzent von Filmen wie Umberto Lenzis »Mondo Cannibale« (1972), Aldo Lados atmosphärischem Giallo »Who Saw Her Die?« (1972) und »Laure« (1976) sowie als Regisseur von »Beyond the Door« (1974) und »Tentacles« (1977) entscheidend mitgeformt hat. Auf der anderen Seite ist Assonitis aber auch ein Erbe von Georges Méliès, für den das Kino vor allem ein surrealer Raum ist, in dem alles möglich ist.
Natürlich stehen hinter all den mit verhältnismäßigen geringen Budgets gedrehten Anspielungen auf erfolg- reiche Hollywood-Produktionen, für die Assonitis berühmt geworden ist, kommerzielle Erwägungen. Aber darauf lassen sich weder »Beyond the Door« und »Visitor« noch »Tentacles« und »Piranha II: The Spawning« reduzieren. Die frühen amerikanischen Blockbuster, deren Nähe er für seine Arbeiten bereitwillig suchte, waren immer auch schon High-Concept-Filme, deren Geschichte sich in zwei oder drei Sätzen erzählen lässt. Diese bewusste Reduktion, die das Publikum mit Schlagworten ködern will, greift Assonitis auf, aber nur um sie auf gloriose Weise zu unterlaufen. Seine Filme lassen sich eben nicht (nach)erzählen. Sie widersetzen sich letzten Endes jeder Reduktion und jeder Kategorisierung. Ihre Geschichten sind falsche Fährten, die sich in ekstatischen Bildkompositionen und grandiosen, alle Gesetze der Zweckmäßigkeit negierenden Szenen verlieren. Damit werden sie zu einer neuen Schule des Sehens, in der wir all unsere Prägungen und unsere Vorurteile hinter uns lassen können.
Die Angriffe des riesigen Oktopusses in »Tentacles« und die wüsten Besessenheitsszenen aus »Beyond the Door« sind reinstes Kino, befreit von allen Zwängen und jeder Form von Subtext. Wir bekommen genau das, was wir in dem Moment sehen. Und lässt man sich genau darauf ein, schenken einem diese Filme etwas, das einem kein noch so perfekt produzierter Blockbuster und auch kein noch so ambitionierter Arthouse- Film schenken kann. Sie geben einem eine Art kindliche Unschuld zurück wie die frühen Filme zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das Kino der Jahrmärkte und der Sensationen. In Ovidio G. Assonitis‘ Arbeiten ist die Fantasie des Kinos noch einmal grenzenlos. Nichts engt diese Zelluloid gewordenen Träume und Albträume ein, und so kann man mit ihnen in ein Reich jenseits des Wirklichen entschweben, ein Reich, für das einst die Filmkunst erfunden wurde.