Systemcrasher

A Tribute to Burkhard Driest

»Die Augen, ohnehin für einen Mann seiner Größe zu klein, waren oft in unerreichbare Ferne gerichtet. Eine tiefe Heimatlosigkeit zeichnete ihn, seine Körperlichkeit und Kraft standen dazu in eigentümlichem Kontrast. ›Das ist eine Menge Mann, die du in diesen Stiefeln herumträgst, Fremder‹ sagt John Carradine zu ihm in Johnny Guitar. Und dennoch ist dieser Mann tief verletzlich und verwundbar.« Natürlich ist es nicht Burkhard Driest, der in diesem Text beschrieben wird, sondern Sterling Hayden. Aber Driest hat Hayden in Wolf-Eckard Bühlers Film »Der Havarist« gespielt, im besten Sinne verkörpert. Er hat künstlerische Entscheidungen immer getroffen, wenn er genug von sich selbst darin finden konnte.

Ob als Schauspieler, Autor, Regisseur oder Maler, seine Kunst setzt immer ein Stück Driest in den Figuren, auf den Buchseiten, oder der Leinwand des Kinos und des Gemäldes frei. Seine innerliche Zerrissenheit, aber auch seine Verletzlichkeit sind der Ausdruck der Diskrepanz zwischen seinem Bild in der Öffentlichkeit und seiner selbst. Driest ist einer der, wie Abraham Polonsky über Hayden sagte, »etwas ungeheuer radikales vollbrachte, er hat sich geändert«.

Grenzen überschreiten bedeutet immer auch die Bereitschaft zur radikalen Veränderung. Die vielen künstlerischen Ausdrucksformen seiner Karriere und natürlich auch das erste Ausrufezeichen in seiner Biographie zeugen von dieser Energie. »Man könnte einerseits das Recht studieren und die Gesetze lernen und zugleich nachts in einem Doppelleben die andere Seite kennenlernen. Man müsste sich nicht beschränken auf das Dasein eines trockenen Rechtsgelehrten.« Im Mai 1965 hat er im Alter von 26 Jahren eine Sparkasse bei Hannover überfallen – drei Wochen vor dem mündlichen Staatsexamen seines Jurastudiums.

Die Verfilmung seines Romans »Die Verrohung des Franz Blum« (1974) durch Reinhard Hauff markiert den Beginn als Autor und Darsteller. Driest verarbeitet seine Zeit im Zuchthaus, liefert das Drehbuch und spielt neben Jürgen Prochnow. Es folgten weitere Romane, Drehbücher und auch Theaterarbeiten, unter anderem bei Zadek, wo er den Kowalski in »Endstation Sehnsucht« spielte. Er arbeitete mit Regisseuren wie Werner Herzog (»Stroszek«) und Sam Peckinpah (»Cross of Iron«). Mit Reinhard Hauff verbinden ihn vier Projekte, in denen Driest als Autor und Darsteller beteiligt war. Ende der 70er begann er sich neben dem Schauspielstudium in den USA intensiver mit dem Handwerk des Schreibens zu befassen. In Robert Aldrichs Stammautor Lukas Heller fand er sein »Match«. Heller vernetzte ihn in Hollywood und arbeitete mit ihm für Studios wie Paramount, Universal und 20th Century Fox. Ihr gemeinsames Projekt, die grelle Satire »Son of Hitler« (1979) wurde mit Bud Cort und Peter Cushing verfilmt und floppte bei der Kritik und an den Kassen.

Mit der Adaption von Genets »Querelle« kehrte er zurück nach Europa. Regisseure wie Schlesinger und Polanski lehnten ab, Sam Peckinpah zeigte sich interessiert, wurde aber krank. Schließlich kam das Projekt zu Fassbinder und mit ihm zu einem Filmemacher, der in allem das Gegenteil von Driest war. Während Driest Handwerk, Milieu und Konflikte im Kontext sozialer Grenzen im Blick hatte, war Fassbinder ein Kinovisionär, der sein Innerstes auf die Leinwand bringen musste. Während der Endfertigung des von Driest koproduzierten Films, in dem er neben Jeanne Moreau, Brad Davis und Franco Nero agierte, verstarb Fassbinder 1982. 1984 folgte Driests Regiedebüt »Annas Mutter«, das auf dem realen Fall der Marianne Bachmeier basierte und in Deutschland größte Aufmerksamkeit erregte.

Seinem Credo, mehr als eine Rolle zu leben, ist Driest stets treu geblieben. Er hat künstlerische und gesellschaftliche Strukturen hinterfragt und ihre Funktionsweisen auf die Probe gestellt. Alles, was ein Künstler sein muss. Ein Systemsprenger.