Ballad of a gentleman
A Tribute to Keith Carradine
Die wohl schönste, wenn auch überraschendste Szene von Robert Altmans »Nashville« kommt gegen Ende. Tom Frank, ein aufsteigender junger Musiker sitzt auf der Bühne einer verrauchten Bar und kündigt einen neuen Song an, den er »für jemand Besonderes, die heute Abend im Raum sein soll« geschrieben hat. An Auswahl fehlt es ihm nicht. Im Publikum sind zwei Frauen, mit denen er schon im Bett war, eine, die er momentan umgarnt und eine weitere, die ihr Interesse schon kommuniziert hat. Wir wissen außerdem, wie er Frauen behandelt: mit einer Eiseskälte, die noch nicht einmal durch seine Oberflächlichkeit entschuldigt werden kann. Und dann legt er los. Der Song heißt »I’m Easy« eine verwundete Ballade, geschrieben und gesungen von einem sensiblen Künstler. Also einer Person, die er nicht sein kann oder will, die er aber hervorragend auf der Bühne verkörpert. Die Damen im Publikum scheinen ihm zuzustimmen – ob nun diejenige, der er schon wehgetan hat oder diejenige, die genau weiß, dass er es noch tun wird. Die Tränen in ihren Augen verraten sie.
Gespielt wird Tom Frank von Keith Carradine und diese Szene geht unter die Haut, weil Carradine wie kaum ein anderer diese Balance zwischen kontrolliertem Spiel und großer Verletzlichkeit beherrscht. Fast möchte man sagen, man nimmt sein Schauspiel nicht wahr. Das macht es so intensiv und nuanciert.
Seine Karriere ist beeindruckend, die Liste der Filme, die er mit seiner Präsenz unvergesslich gemacht hat lang. Hauptrollen in Filmen wie Ridley Scotts »Die Duellisten«, Alan Rudolphs »Willkommen in LA« und Louis Malles »Pretty Baby« absolvierte er, bevor er überhaupt 30 Jahre alt war.
Keith hat Bühnenblut in seinen Adern, seine Familie ist »Hollywood Royalty«. Sein Vater war John Carradine, einer von John Fords Lieblingsdarstellern. Sein Halbbruder David wurde als Caine in der Fernsehserie »Kung Fu« weltberühmt, während sein jüngerer Bruder Robert und sein Halbbruder Michael Bowen auch mehrere erfolgreiche Jahrzehnte vor der Kamera hingelegt haben. Seine älteste Tochter, Martha Plimpton, ist eine bekannte und vollendete Darstellerin, seine anderen zwei Kinder, Cade und Sorel, auf dem besten Weg dahin. Neben seinen Arbeiten für Alan Rudolph in den 80ern, spielte er in Walter Hills »Long Riders« und »Die letzten Amerikaner«, Samuel Fullers »Straße ohne Wiederkehr« und Simon Callows »Die Ballade vom traurigen Café«. Im Fernsehen spielte er Rollen in einigen der besten Serien jüngerer Zeit, darunter eine ganze Saison von »Dexter« als Special Agent Frank Lundy, als Lou Solverson in »Fargo« und den Präsidenten der USA in »Madam Secretary«.
In jeder dieser Rollen lieferte Keith Carradine großartige Performances ab. Er bleibt seinem Anspruch treu, ein Darsteller zu sein. Und er ist immer besser darin geworden ist, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Er lässt die Finger von künstlichen theatralischen Momenten, seine Stimme ist geschmeidig, selbstsicher und beruhigend, man will seinen Charakteren vom ersten Moment an Vertrauen. Eine Offenheit, die den Anschein erweckt, ein unkomplizierter Mensch in einer komplizierten Welt zu sein. Man glaubt, ihn schon lange zu kennen, aber er lässt dich trotzdem nie wissen, was er gerade denkt.
In einem Interview mit der New York Times sagte er, »Die Leute denken, dass ich ein Schuft bin« und spielte damit augenzwinkernd auf die Schwierigkeit an, seine Rollen von dem Menschen Carradine zu trennen. Diese Dualität, die diesem Beruf Fluch und Segen ist. Ein größeres Kompliment kann man einem Darsteller nicht machen, es zu erkennen, fällt aber vielen schwer.
Und so ist es eine fast normale Ironie Hollywoods, dass er, obwohl einen Academy Award sein Eigen nennen darf, für seine eindringliche, subtile Leinwandpräsenz als Schauspieler noch nicht geehrt wurde. Den Oscar gewann er für den besten Song, sein »I’m Easy« aus Altmans »Nashville«, mit dem er seine Rolle des Tom Frank doch auch nur eine Nuance mehr zu dem sensiblen Schuft gemacht hat, für den die Leute ihn so gerne halten.