MAD DOG MORA

PORTRAIT EINES PROVOKATEURS – PHILIPPE MORA

Natürlich ist der alternde Horrorfilmregisseur Jack Citron in »Howling III: The Marsupials« eine Karikatur, aber eine, die mit großer Liebe und tiefem Verständnis gezeichnet ist. Sein von Andy Warhol genährter Traum, dass die Grenze zwischen Pop und High Art einfach verschwindet, dass ein reißerisches Creature Feature eben auch große Kunst sein kann, ist zugleich eines der großen Ideale der modernen Kunst seit den 1920er Jahren. Einmal soll endlich Schluss sein mit all den überkommenen, der Ideologie wie dem Markt geschuldeten Kategorien von Kunst und Trash.

Der Filmemacher und Autor, Dokumentarist und Maler Philippe Mora, Citrons Schöpfer, hat diesen Traum in seinem Schaffen immer wieder ausgelebt. Filme wie »Howling II« und »Howling III« widersetzen sich ebenso konsequent allen üblichen Klassifizierungen wie seine in den späten 1960er und frühen 70er Jahren in London entstandenen Gemälde oder seine 2012 erstmals veröffentlichte Graphic Novel »Sixties Apocalypse«. Pop ist Kunst, und Kunst ist Pop. So einfach kann es sein.

Ein wunderbares Foto aus dem Jahr 1970 zeigt den damals gerade einmal 21-jährigen Mora vor einem seiner Gemälde: »Popeye and Olive’s Expulsion from Paradise«. Eine grandiose Aneignung, die Elzie Crisler Segars populäre Comic-Strip-Figuren einfach in die Szenerie aus Albrecht Dürers berühmtem Holzstich »Die Vertreibung aus dem Paradies« versetzt. Zwei Welten kommen zusammen, die sich zuvor nicht einmal berührt hatten und doch füreinander bestimmt waren. Eine fabelhafte, unglaublich befreiende Komik liegt in diesem Gemälde. Eine der traurigsten und bittersten Erzählungen der Menschheitsgeschichte verliert ihr Pathos, und zugleich offenbaren zwei extrem überzeichnete Comic-Figuren auf einmal eine wahrhaft tragische Dimension. Das Lachen über die Katastrophe wird zur Waffe gegen sie.

Genau diese Dialektik, dieses berauschende Spiel der Gegensätze, erfüllt auch Philippe Moras fi lmisches Schaffen. Was nicht zusammenpasst und nach hergebrachten Vorstellungen auch keinesfalls zusammengehört, wird in seinen Filmen mit der größten Selbstverständlichkeit eins. So muss seine 1973 uraufgeführte Found-Footage-Dokumentation »Swastika«, ein auf jeden Kommentar verzichtendes Porträt Deutschlands in den Jahren des Dritten Reichs, tatsächlich mit einer Aufnahme von Noël Cowards »Don’t Let’s Be Beastly to the Germans« enden. Der sarkastische Ton des Songs akzentuiert das Grauen des gerade Gezeigten und öffnet einem noch einmal die Augen für andere, größere Zusammenhänge. Letztlich gibt es für den Menschen nur eine wirkliche Aufgabe: den Kampf gegen das Böse. Nur wird damit ein jeder zu Sisyphos oder aber zu Captain Invincible, dem verratenen und doch nicht zu zerstörenden Superhelden. Doch auch der ist trotz allem ein glücklicher Mensch.

Wie alle bedeutenden Modernisten ist der 1949 als Sohn eines deutschen Juden und Résistance-Kämpfers in Paris geborene und in Melbourne aufgewachsene Philippe Mora ein unermüdlicher Provokateur. Seine Arbeiten stiften Unruhe und gehen immer das Risiko ein, missverstanden zu werden. Filme wie das orgiastische Horror-Sequel »Howling II« oder »Absolutely Modern«, eine von liebevoller Ironie und zarter Melancholie durchwehte Hommage an die australische Kunstszene der Nachkriegszeit, fordern einen offenen, gänzlich unvoreingenommenen Blick. Nur ihm offenbaren sie ihren ganzen, alle konventionellen Beschränkungen sprengenden Reichtum, und der ist ganz aus dem freien und exaltierten Geist der 1960er Jahre geboren.

Diese Ära, die im Lauf der Zeit in Verruf gekommen ist, deren Ideale entweder pervertiert und im Terror begraben wurden, lebt in Philippe Moras Kino fort. Ihre Sehnsüchte und ihre Hoffnungen, ihre künstlerischen Träume und ihre politischen Ideen haben ihn 1967, als er nach London kam und mit der Malerei begann, befl ügelt. Und er hat sie nie fallen lassen. Wie seine noch aus der vorherigen Generation stammenden Wegbereiter Roy Lichtenstein oder Sidney Nolan, der zu dem künstlerischen Zirkel um Moras Eltern Georges und Mirka gehörte, stürzt sich Mora mit jedem seiner Werke von neuem in das schier unerschöpfl iche Reservoir der Popkultur und transzendiert sie zugleich.

Natürlich werden seine beiden »Howling«-Sequels und sein epochaler Teen-Horrorfilm »The Beast Within« genauso wie das Superhelden-Musical »The Return of Captain Invincible« oder der zeitgenössische Abenteuerfi lm »A Breed Apart« von Genrekonventionen geprägt. Aber die sind für Mora nur ein Rahmen, aus dem er jederzeit fallen kann. Und jeder Sturz ins Freie, ins Reich jenseits des Rahmens, gleicht einer Offenbarung. So wird gerade ein Film wie »Howling II« zu einer subversiven Schule des Sehens: Punk und Kunstgeschichte, Orgien in Fetisch-Kostümen und Goyas Saturn, in dem bizarren Thronsaal der Werwolf-Königin Stirba spiegeln sie einander fortwährend. Moras Filme, die Genrearbeiten der 1980er und 90er Jahre genauso wie seine neuesten, im ursprünglichsten Sinne unabhängigen Produktionen »German Sons« und »Absolutely Modern«, »Continuity« und »The Sound of Spying«, zeugen von einer Welt, in der das Sublime und das Primitive untrennbar verwoben sind. Aus ihrer Verbindung erwächst eine ganz individuelle Form der Kunst und ein wahrhaft einzigartiges Werk. Es ist sein eigenes Paralleluniversum, in dem die einst von den Surrealisten und später dann von der Pop-Art gestreute Saat unvergleichliche Blüten treibt.